Storytelling kann Veränderungen in Unternehmen beflügeln

Ich habe schon früh in meinem Leben Storytelling erlebt. Allerdings wurde das so lahm praktiziert, dass ich dabei regelmäßig meinen Gedanken freien Lauf ließ. Sie ahnen es vielleicht? Richtig. Es war in der Kirche. 

Obwohl die Geschichten doch von Toten, die wieder zum Leben erweckt wurden, oder von Menschenmassen, die ganz friedlich zu Tausenden einem wundervollen Mahl beiwohnen konnten eigentlich spannend sind, ist der Funke damals nicht übergesprungen. Mein Vater hatte das schnell bemerkt und ließ mir die Wahl: möchtest Du sonntags mit mir in die Kirche gehen, oder lieber mit mir ins Hallenbad? Nun, ich bin eine recht gute Schwimmerin geworden.

Das, was ich gerade gemacht habe, war mehr oder weniger Storytelling. Ich habe Ihnen einen ganz privaten Einblick in mein Leben gegeben und dabei eine Botschaft transportiert, nämlich:
gutes Storytelling hätte mich länger in der Kirche verweilen lassen.

Aber, was ist gutes Storytelling?

Es geht darum, was, wem, wie und vor allem warum zu erzählen.

Ich beginne mit dem WAS. Das braucht Vorarbeit. Hier ist das sogenannte Story Forming erforderlich. Es geht um die Eckpfeiler der Geschichte, deren Chronologie und den eigentlichen Inhalt.

Nun zum WEM. Es muss eine Nähe zum Zielpublikum bestehen. Es macht keinen Sinn, Vegetariern die Vorteile eines Römertopfes für die Zubereitung eines Schweinebratens zu beschreiben.

Jetzt zum WIE. Dazu gehört ein guter Geschichtenerzähler. Jemand, Mann oder Frau, dem die Geschichte abgenommen wird. Am besten jemand, der auch einen Kontext zu der Geschichte hat. Und natürlich die richtige Technik: Videobotschaft, Live Stream, Bühnenansprache…

Last but not least das WARUM. Das Wirkungsziel kann viele Aspekte verfolgen, z.B. Ängste vor der Reorganisation abbauen, zu Neuem motivieren, es kann auch rein kommerzielle Gründe haben, wie gezielt Produkte zu verkaufen. 

Aus Mitarbeitersicht habe ich viele Beispiele für das Storytelling selber erfahren. Es wurde gerade bei Reorganisationen verstärkt angewendet und folgte in Teilen der Logik der sogenannten „Learning History“ Methode. Diese Methode wurde vom MIT, dem Massachusetts Institute of Technology in den 90er Jahren entwickelt. 

In ersten Schritt werden dabei Mitarbeiter*innen zu Unternehmensthemen wie z.B. einem erfolgreichen Produkt Launch, einer anstehenden Prozessveränderung oder einer notwendigen Reorganisation befragt. Danach werden die Antworten analysiert und basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen wird eine gemeinsame Geschichte destilliert. Diese Geschichte wird dem Zielpublikum dann mittels geeigneter Medien kommuniziert.

Welche Vorteile erhofft man sich von der MIT-Methode?

  1. Primär soll Vertrauen aufgebaut werden, damit die geplante Veränderung ein Erfolg wird. Dazu wird der interviewten Person die Möglichkeit eröffnet, Punkte, die sie vielleicht aus Angst vor Repressalien nicht angesprochen hätte, nun anonym und nur über den Job Titel charakterisiert, anzusprechen.

  1. Die Mitarbeiter, die nicht interviewt wurden, finden sich in den Aussagen ihrer Kolleginnen und Kollegen (hoffentlich) wieder und erkennen, dass sie nicht alleine sind.
  2. Sie können nun partizipieren, Punkte aufgreifen und diskutieren.
  3. Des Weiteren soll Erfahrungstransfer von einem Unternehmensteil zu einem anderen unterstützt werden.
  4. Und, obwohl sich die Methode zumeist auf einen Event konzentriert, wie z.B. die Einführung einer neuen Produktsparte, können mitunter grundsätzliche Erkenntnisse entstehen. HR könnte z.B. erkennen, dass Mitarbeiter*innen befürchten, bald zum „alten Eisen“ zu zählen, da sie nicht die neuen „hippen“ Produkte herstellen werden. Es besteht also Handlungsbedarf, wenn HR diese Mitarbeiter*innen halten möchte.

Wer mehr über diese Unternehmensmethode wissen möchte, dem empfehle ich zum Einstieg “Learning Histories: A New Tool For Turning Organizational Experience Into Action“ von Art Kleiner und George L. Roth und natürlich deren Fachbücher.

Um das Storytelling in Unternehmen ist inzwischen eine ganze PR-Industrie entstanden.

Trotzdem möchte ich Sie ermuntern, es einfach mal zu versuchen. Es lohnt sich.

Schlechter als diese Anekdote es zeigt, können Sie es gar nicht machen.

Ein Konzern stand wieder einmal vor einer schmerzhaften Reorganisation. 

Der DACH VP erläuterte per Videobotschaft seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Notwendigkeit der Reorganisation, indem er Storytelling anwendete. Er beschrieb, wie er am Mittagstisch am Sonntag von seiner Frau und seinen drei Kindern gefragt wurde, warum denn nun solche Einschnitte in seiner Firma notwendig sind. Kind gerecht (und Frau gerecht) zählte er die Gründe auf und warb für Verständnis.

Keine vier Stunden später meldete sich der EMEA VP zu dem Thema. Welche Überraschung, als man erfuhr, dass auch seine Frau und seine drei Kinder ihm am Sonntag beim Mittagessen genau die gleiche Frage gestellt hatten.

Was für ein riesiger Zufall! Oder war es vielleicht nur das Resultat eines dummen Script Sharings? Getreu dem Motto, warum zweimal über etwas nachdenken, wenn einmal reicht? Das merkt doch keiner. 

Doch, das merken mündige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Deshalb, nur Mut, Sie machen das bestimmt viel besser!