Von der Kunst, nicht aufzugeben

Ich hatte in meinem Leben durchaus schon mal Durchhänger und habe mir dann immer gesagt, „da ich doch sowieso denken muss, kann ich auch gleich positiv denken“. Ein guter Spruch, finde ich, aber momentan brauche ich viel mehr als einen guten Spruch, denn die Pandemie macht mich sehr traurig.

Was würde ich darum geben, mich wieder mit Freunden und Freundinnen zum Essen treffen zu können, ins Theater zu gehen oder einfach nur im Café zu sitzen und dem Treiben auf dem Marktplatz zuzuschauen? Oder wieder mit Kunden und Kundinnen zu sprechen, die Zuversicht ausstrahlen. Ich brauche jetzt etwas, dass mich positiv antreibt, etwas, das mich wortwörtlich bewegt – ich brauche Motivation!  

Die brauchen wir jetzt alle. Aber wo soll die Motivation herkommen?

Aus uns selbst – intrinsisch, wie der Fachmann sagt? Oder kommt sie von außen durch Anreize, also extrinsisch. Oder sind wir wegen der Pandemie schon da angekommen, wo wir unsere Defizitbedürfnisse* decken müssen und nur noch von primärer und sekundärer Motivation sprechen?

Ich befürchte, genauso ist es und das ist brandgefährlich. Es geht gerade bei den Meisten in unserer Gesellschaft nicht um die Frage: „wie verwirkliche ich mich heute?“ oder „was kann ich tun, um Lob und Anerkennung zu erfahren?“, sondern um die Existenz.

Wir Menschen haben eine sogenannte primäre Motivation, erst einmal unsere existenziellen Bedürfnisse zu decken, bevor wir uns mit intrinsischer oder extrinsischer Motivation abgeben. Essen, Trinken, etwas zum Anziehen, Wärme, das sind Grundbedürfnisse und genau die Erfüllung dieser Grundbedürfnisse ist jetzt in der Pandemie gefährdet.

Wie lange kann die Miete noch bezahlt werden? Wie bekomme ich den Kühlschrank voll bei Kurzarbeitergeld. Was tue ich als Selbständiger, dem die Kunden wegbrechen, weil sie selber zu 90% Umsatzverluste haben? Und ist der Job überhaupt noch sicher, wenn der Staat die Unterstützung meiner Firma einstellen wird?

Das ist Existenzangst pur. Sie führt zu Depressionen. Sie führt auch zu Aggressionen. Die Steigerung an häuslicher Gewalt in Deutschland ist alarmierend.

Und um das Szenario noch düsterer erscheinen zu lassen, gibt es in der Pandemie noch ein weiteres Defizitbedürfnis, dass nicht mehr erfüllt wird. Es ist unser Bedürfnis nach einem Miteinander, einem sozialen Umfeld und nach Sicherheit. In der Wissenschaft nennt man das Streben nach Erfüllung dieser Bedürfnisse unsere sekundäre Motivation. Wir sind nun mal Herdentiere mit einem hohen Sicherheitsbedürfnis und wenn man uns die Zusammenkünfte verbietet, uns in die Isolation treibt, neudeutsch nett ausgedrückt mit „social distancing“, dann verbergen sich hinter diesem ach so „hippen“ Begriff menschliche Katastrophen.

Es geht JETZT meines Erachtens für uns Solo-Selbständige, uns Unternehmer und Unternehmerinnen darum, nicht zu verzweifeln. Es geht, um es mal mit der Kölner Band Bap zu sagen (ja, so alt bin ich schon), den „Arsch huh, Zäng ussenander“, also den Hintern hoch zu kriegen und die Zähne auseinander. 

Es geht um das Aufstehen und das Machen.

Bei Bap war es der Kampf gegen rechts. Heute geht es darum, wieder auf die Beine zu kommen und sich nicht unterkriegen zu lassen. Sich neu zu erfinden. Es ist der Kampf ums Überleben als Selbständige(r) und Unternehmer und Unternehmerin.

Gerade bei kleinen Unternehmen, beim Mittelstand und bei vielen freiberuflich Tätigen werden die finanziellen Polster immer kleiner. Die vollmündigen Versprechungen der Politiker*innen, unbürokratisch zu helfen, sind die Tonspur nicht wert, auf der sie aufgezeichnet wurden. Unsere Politiker*innen müssen sich darüber im Klaren sein, dass es nicht das Ei des Kolumbus ist, dass sie da gerade mühsam in Sondersitzungen ausbrüten, sondern ein Pulverfass im Nest liegt, bereit hochzugehen.

Auch unseren Politikern und Politikerinnen möchte ich zurufen „Arsch huh, Zäng ussenander“. Plant gescheit und realistisch, nehmt Vertreter der Leute an Bord, die es maßgeblich trifft und hört auf in geschlossen Runden zu diskutieren. Hoppla – Jetzt ist es mit mir durchgegangen und ich bin vom eigentlichen Thema abgekommen. Sorry.

Mir geht es nämlich primär es darum, Ihnen Mut zu machen und an Ihre Innovationskraft zu appellieren. Ich möchte gerade freiberuflich Tätigen und den Unternehmensleitern und-leiterinnen zurufen:

GEBT NICHT AUF! GEBT ALLES!

Sicher, in Pandemien, in denen die Umgebungsvariablen zerstörerisch wirken und der Einfluss auf die Gesamtsituation vermeintlich gleich null ist, ist der Mensch paralysiert wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange. Gerade deshalb möchte ich meinen ganz persönlichen Corona Maßnahmenplan mit Ihnen teilen und – ja, auch das ist nicht das Ei des Kolumbus. Aber wenn ich mich verkrieche und nur abwarte, es Anderen überlasse, neue Ideen zu haben und Dinge zu ändern, dann habe ich keinen Einfluss mehr darauf, mein Einkommen zu sichern, welche Rolle ich in der Gemeinschaft noch spielen werde und wie ich wieder Sicherheit erlange. 

Darum erlaube ich mir, Ihnen folgende 6 Schritte als Anregungen zu geben:

Schritt 1 – Stellen Sie das eigene Geschäftsmodell auf den Prüfstand.

Wie stark ist Ihre Leistungserbringung in der Pandemie eingeschränkt? Analysieren Sie das WARUM und WAS Sie dagegen tun können. Können Sie z.B. Ihr Business Modell um digitale Angebote erweitern? Können Sie sich neue Ansätze für temporäre, aber auch möglicherweise permanente Komponenten in der Leistungserbringung vorstellen, wie es z.B. Gastronomen mit den „Ausser Haus“ Lieferungen getan haben oder Künstler mit den Auftritten in Autokinos? Schauen Sie auch auf Ihre Vertriebskanäle. Könnte ein Webshop helfen? In meiner Heimatstadt Moers gibt es eine Initiative, Ladenbesitzern bei der Erstellung von Webshops zu helfen. Machen Sie sich schlau. Und möglicherweise können Sie Ihr Produkt bzw. Ihren Service „austauschen“ und mit den eingeübten Prozessen ganz anderes anbieten, wie es z.B. die Firma Eventim tat, die nun in einigen Bundesländern keine Tickets, aber Impftermine „verkauft“. 

Ich empfehle Ihnen zwei Bücher aus dem Campus Verlag.
1. Business Model Generation. Ein Handbuch für Visionäre, Spiellveränderer und Herausforderer (und alle :innen, versteht sich) Amazon Link
2. als Ergänzung: Value Proposition Design: Entwickeln Sie Produkte und Services, die Ihre Kunden wirklich wollen. Amazon Link

Schritt 2 – Finden Sie Allianzen, denn zusammen ist man weniger allein.

Schauen Sie sich in Ihrem Business um und suchen Sie kollegiale Mitstreiter. Gemeinsam können so neue Ideen für Kooperationen entstehen. Schauen Sie aber auch über den Rand Ihres Business. Können Ihre Produkte und Services durch andere Produkte und Services sinnvoll ergänzt werden? Auch hier können o.g. Bücher nützlich sein und beim kreativen Denken helfen.

Schritt 3 – Lernen Sie dazu.

Nutzen Sie die Zeit zur Weiterbildung und verbessern Sie so Ihren Marktwert.

Schritt 4 – Kommunizieren Sie regelmäßig mit Ihren Kunden. 

Sprechen Sie offen über die Schwierigkeiten der aktuellen Zeit und fragen Sie unbedingt auch nach deren Befinden. In Kontakt bleiben, bedeutet nicht vergessen zu werden. Auch wenn es nur Videokonferenzen, Telefonate oder Chats derzeit sein dürfen. Scheuen Sie keine neue Technik. Sie können Ihre sozialen Bedürfnisse z.B. mit „New Work“ Tools wie MS Teams, Zoom, oder Slack und Mural, wenn nicht optimal, so doch recht gut erfüllen.

Schritt 5 – Pflegen Sie Ihre sozialen Netzwerke und bauen Sie sie aus.

Ihre Kontakte kennen wieder Kontakte. Mundpropaganda wurde durch Facebook, xing, linkedin, instagram und Co. ergänzt, dadurch ist die Reichweite noch viel, viel besser geworden. Schauen Sie auf Ihren digitalen Fußabdruck. Wo gibt es bei Ihnen Nachholbedarf?

Schritt 6 – Greifen Sie zum Hörer und reaktivieren Sie alte Kontakte.

Auch wenn wir immer digitaler leben und denken, geht nichts über ein persönliches Telefonat. 

Fazit: Natürlich sind meine Ratschläge keine Garantie, wie Phönix aus der Asche zu steigen. Trotzdem ist es besser, sich zu versuchen, sich neu zu erfinden, als sich aufzugeben, denn wie der Torwart Oliver Kahn einmal sagte:

„Erst im Aufgeben liegt das wahre Scheitern.“

* Defizitbedürfnisse – siehe Maslowsche Bedürfnispyramide