Mit gutem Stakeholder Management Projektkrisen vermeiden

Es gibt kaum noch Unternehmen, die nicht ein eigenes Projektmanagement-Handbuch verwenden, oder die gängigen Standards nutzen. Aber zwischen „wir haben etwas“ und „wir wenden es vernünftig an“ liegen manchmal Welten, wenn nicht sogar mehrere Galaxien.

Als ich vor einigen Jahren die Projektleitung eines in Schieflage geratenen Projekts übernommen hatte, tat ich das, was Neue so machen, ich durchpflügte erst einmal die Projektablage.

Dort fand ich viele wichtige Informationen, was ich allerdings nicht fand, war eine Stakeholder Analyse. 

Nein, eigentlich ist diese Aussage falsch. Ich fand keine richtige Stakeholder Analyse. Mir wurde von der scheidenden Projektleiterin nur eine Liste in Form eines Excel Sheets in die Hand gedrückt. Diese Liste beinhaltete Name, Abteilungszugehörigkeit, Email-Adresse und Telefonnummer. Sie war nicht mehr als ein Kontaktverzeichnis.

Auf meine Frage, wo denn die Stakeholder Analyse wäre, wurde mir genervt mitgeteilt, dass man für so einen Schnick Schnack mit den Befindlichkeiten der Stakeholder einfach keine Zeit gehabt hätte. Die Liste müsse reichen.

Was mir da passierte, kannte ich leider schon. Hier wurde nicht nur in einem Satz ein wichtiges Tool für ein erfolgreiches Projektmanagement disqualifiziert – nein, hier wurde ich gleich mit abgewatscht. Ich gehörte wahrscheinlich für sie zu der Fraktion der Esoteriker*innen, die ihre Projekte auspendeln und dabei regelmäßig den Gong schlagen. 

Glauben Sie mir, mir hat eine vernünftige Stakeholder Analyse so manches Projekt gerettet. Die Stakeholder Analyse, als Einstieg in den Prozess des Stakeholder Managements, ist sehr wichtig.

Sie ist sogar so wichtig, dass sie auch Einzug in die diversen Normen gefunden hat. 

Die revidierte Norm ISO 9001:2015 fordert nämlich das „Verstehen der Organisation und ihres Kontextes“ und das „Verstehen der Erfordernisse und Erwartungen interessierter Parteien“.

In der Norm DIN 69901-5:2009-01 findet man unter dem Begriff „Stakeholder Analyse“ die folgende Erläuterung: „Analyse der Projektbeteiligten hinsichtlich deren Einfluss auf das Projekt und deren Einstellung (positiv oder negativ) zum Projekt“. Und auch in den verschiedenen Standards wie PMI oder Prince2, die ich hier nur beispielhaft nenne, ist dem Thema Stakeholder Analyse und dem übergeordneten Kontext – dem Stakeholder Management – ein Platz eingeräumt worden.

In der Theorie hat also das Stakeholder Management als Prozess und die Stakeholder Analyse als Tool bereits einen Podestplatz gefunden. In der Praxis wird hier gerne schnell mal eben dahin geschludert.

Was also ist vernünftiges Stakeholder Management?

Zunächst einmal ist es ein immer wiederkehrender Prozessablauf mit dem Ziel, die Dynamik der Personen im Projektumfeld zu erkennen, deren Konflikte, die ausgeübten Blockaden und die Einflussfaktoren auf das Projekt.

Mit diesen Informationen wird aktiv gearbeitet, damit das Projekt erfolgreich umgesetzt werden kann. 

Der Prozessablauf besteht aus vier Phasen. 

In der ersten Phase „Informationssammlung“ werden in Interviews und Workshops Daten erhoben. Hier geht insbesondere um folgende Fragen:

  • Wo sind Projektblockaden und wer verwehrt sich?
  • Welche Kräfte sind hier am Werk?
  • Wer genau übt Macht und Einfluss aus?
  • Wer ist dem Projekt gegenüber positiv, neutral oder negativ eingestellt?
  • Wer hat informelle Macht?
  • Wer ist später von dem Projektergebnis betroffen?

In der zweiten Phase „Bewertung und Gewichtung der Informationen“ werden Gruppen gebildet, Abhängigkeiten analysiert und Kombinationen der Ergebnisse interpretiert.

Dazu gehört z.B. auch die Erkenntnis, dass Macht und negative Einstellung Sprengstoff für das Projekt sind.

Am Ende dieser Phase sollte man eine klare Sicht auf die Charaktere haben und salopp gesagt wissen, wer Galionsfigur, Mitstreiter, Mitläufer, Heckenschütze und Brunnenvergifter ist.

Aber aufgepasst! Formulieren Sie diese Erkenntnis nicht explizit so in Ihrer Stakeholder Analyse, denn zumeist ist die Stakeholder Analyse der erste Input, den eine Projektrevision gerne von Ihnen hätte.

Der Fokus des Tools sollte auf den Maßnahmen liegen und nicht auf der Demaskierung der Stakeholder.

In der dritten Phase „stakeholder- und umfeldbezogenes Risikomanagement“ werden konkrete Risiken für das Projekt identifiziert und klassifiziert.

Hier erfolgt auch die Ableitung der oben erwähnten Maßnahmen zur Eindämmung bzw. Vermeidung von Gefahren für den Projekterfolg.

In der vierten Phase „Neubewertung“ werden frühere Einschätzungen aktualisiert und ggf. neue Informationen ergänzt.

Wie oft dieser Regelkreis durchlaufen wird, hängt von den erkannten Risiken und den abgeleiteten Maßnahmen ab.

Fazit:

Wenn Sie ein Projekt als Projektleiter*in starten, nehmen Sie sich ausreichend Zeit für die Stakeholder Analyse.

Tauschen Sie sich mit Vertrauten aus, um eine möglichst neutrale Bewertung sicherzustellen. Niemand ist frei von Antipathien, die eine objektive Bewertung manchmal schwierig machen. Überschreiten Sie auch die Projektgrenzen und lassen Sie sich über das Image des Projekts informieren.

Planen Sie den Prozess des Stakeholder Managements in Ihren Projektalltag ein.

Sollten Sie das Glück haben und in ihrem Projekt einen Change Manager bzw. eine Change Managerin beschäftigen, dann übertragen Sie dieser Person das Thema Stakeholder Management aus operativer Sicht.

Implementieren Sie Regelmeetings mit dem Change Manager, oder der Change Managerin, um Bewertungen zu besprechen, Maßnahmen zu planen und deren Ergebnisse zu prüfen.

Nutzen Sie die Meetings auch, um die Risiken, die sich durch die Konflikte und Kraftfelder der Stakeholder ergeben, in Ihr übergeordnetes Risikomanagement zeitnah einfließen zu lassen.

Für mich persönlich ist eine gute Stakeholder Analyse und ein vernünftig gelebter Stakeholder Management Prozess ein wichtiger Baustein für den Projekterfolg.

Fehlt das Stakeholder Management oder ist es nur auf dem Papier, quasi alibimäßig, vorhanden, sagt es viel über die Projektqualität aus.

Ein mangelhaftes Stakeholder Management ist häufig einer der Gründe, warum ein Projekt in einer Krise steckt. 

Die Projektleitung hat die Zeichen an der Wand schlicht nicht erkannt!